29.11.2024
Die Stiftung Forum Verfassung verlieh den Wissenschaftspreis des Verfassungspreises 2024 an em. Univ.-Prof. Dr. Peter Pernthaler, der sich in den vergangenen Jahrzehnten um die „österreichische Bundesstaatlichkeit höchste Verdienste erworben“ hat und diese nachhaltig gestaltete.
Das Institut für Föderalismus, das Peter Pernthaler von 1975 bis 2000 aufgebaut und zu einer anerkannten wissenschaftlichen Forschungsinstitution gemacht hat, beglückwünscht seinen ersten Institutsdirektor recht herzlich. Seine umfangreichen Werke – wie u.a. zu Raumordnung und Verfassung (in drei Bänden 1975, 1978 und 1990 erschienen), zur Kompetenzverteilung in der Krise (1989) oder zum differenzierten Bundesstaat (1992) –, vielfach in der Schriftenreihe des Instituts für Föderalismus erschienen, haben den österreichischen Bundesstaat wesentlich geprägt und weiterentwickelt.
Für Peter Pernthaler war nicht nur die Entwicklung wissenschaftlicher Theorien wichtig, sondern auch deren erfolgreiche Umsetzung in die Praxis. Seine Arbeiten und sein Engagement haben Impulse für Gesetzgebung und Verwaltung gesetzt und das Verständnis und die Wertschätzung für den Föderalismus in unserer Gesellschaft gestärkt. Mit der Vergabe des Preises wird auch die Tätigkeit und das Wirken des Instituts für Föderalismus anerkannt.
In VfGH 03.10.2024, E 4003/2023-12 traf der VfGH vor dem Hintergrund einer Regelung im Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz (AGesVG), BGBl I 68/2017 Aussagen zur Reichweite der Bundeskompetenz „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit“ in Art 10 Abs 1 Z 7 B-VG. Dabei stellte er klar, dass diese zwar weitreichend sei, sich aber doch nicht jedwede Regelung, welche das Zusammenleben der Gesellschaft zum Inhalt hat, auf diesen Kompetenztatbestand stützen lasse.
Über den Beschwerdeführer wurde von der BH Korneuburg eine Strafe verhängt, da er sich durch das Tragen einer Burka im Bahnhofsbereich der Erfassung durch die den öffentlichen Raum erfassende Videoüberwachungskamera zu entziehen suchte und somit gegen § 2 Abs 1 Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz (AGesVG), BGBl I 68/2017 verstoßen habe. Das LVwG NÖ wies die gegen diesen Strafbescheid erhobene Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer vorbrachte, dass das AGesVG verfassungswidrig sei (insbesondere wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Datenschutz), als unbegründet ab.
Gegen diese Entscheidung erhob der Beschwerdeführer eine Erkenntnisbeschwerde an den VfGH wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm.
In dieser brachte der Beschwerdeführer – neben anderen Bedenken – vor, dass sich das gesamte AGesVG nicht auf den Kompetenztatbestand des Art 10 Abs 1 Z 7 B-VG stützen lasse, da nicht nachvollziehbar sei, inwiefern ein Verhüllungsverbot mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit zu tun habe.
In den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1586 BlgNR 25. GP, 11) wird dazu ausgeführt: „Die Regelung stützt sich kompetenzrechtlich auf Art. 10 Abs. 1 Z 7 B-VG (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit einschließlich der ersten allgemeinen Hilfeleistung, jedoch mit Ausnahme der örtlichen Sicherheitspolizei). Die öffentliche Ordnung im Sinne dieser Kompetenzbestimmung bezeichnet nicht die Rechtsordnung, sondern die äußerliche Ordnung, d.h. ‚die Gesamtheit jener ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Befolgung als unentbehrliche Voraussetzung für ein gedeihliches Zusammenleben der Menschen angesehen wird‘ (VwSlg 543 A/1948). Der Verfassungsgerichtshof fasst unter den Begriff der öffentlichen Ordnung ‚Regelungen, die für das Funktionieren des Zusammenlebens der Menschen im Staate wesentlich sind‘ (VfSlg 15394). Die Ermöglichung zwischenmenschlicher Kommunikation ist eine wesentliche Funktionsbedingung für ein friedliches Zusammenleben in einem demokratischen Rechtsstaat. Für Kommunikation bildet das Erkennen des Anderen bzw. dessen Gesichts eine notwendige Voraussetzung.“
Der VfGH wies die Beschwerde als unbegründet ab. In seinen Entscheidungsgründen hält der VfGH zu den kompetenzrechtlichen Bedenken des Antragstellers fest: „Im Übrigen hat der Verfassungsgerichtshof auch keine kompetenzrechtlichen Bedenken gegen das AGesVG. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des AGesVG stufen das Erkennen der Gesichtszüge einer Person in der Öffentlichkeit als wesentliche Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben in einem demokratischen Rechtsstaat ein […]. Regelungen, deren Befolgung als Voraussetzung für ein funktionierendes Zusammenleben in der Gesellschaft wesentlich ist, sind vom Kompetenztatbestand des Art 10 Abs 1 Z 7 B-VG (‚Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung‘) erfasst.“
Diese – wohl etwas zu allgemein gehaltene – Aussage lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass sich jedwede Regelung, welche für ein „funktionierendes Zusammenleben in der Gesellschaft wesentlich ist“, auf Art 10 Abs 1 Z 7 B-VG stützen lasse. Wie bereits aus der in den Gesetzesmaterialien zitierten Judikatur hervorgeht, muss es sich dabei um Regelungen handeln, welche für das friedliche Zusammenleben „unentbehrliche Voraussetzung“ bzw „wesentlich“ sind.
Im gegenständlichen Verfahren mag dies bezogen auf das Gesichtsverhüllungsverbot wohl der Fall gewesen sein (die mehr oder weniger vollständige Verhüllung einer Person ist auch ein Sicherheitsaspekt, was gerade im Beschwerdefall deutlich wurde, war doch der Beschwerdeführer ein Mann, der durch die den öffentlichen Raum erfassende Videoüberwachungskamera nicht erfasst werden und in der Öffentlichkeit nicht erkannt werden wollte); nähere Ausführungen des VfGH zu der Frage, aus welchen konkreten Gründen das Erkennen der Gesichtszüge einer Person in der Öffentlichkeit eine wesentliche Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben, hätten diesbezüglich für weitere Klarheit sorgen können.
Der österreichische Gemeindebund hat im Oktober 2024 eine Studie zu Vertrauen und Zufriedenheit der Österreicher und Österreicherinnen in die verschiedenen politischen Ebenen präsentiert. Die Ergebnisse der Studie decken sich mit jenen des Föderalismus-Monitors des IFÖ (2019-2023): Je näher die politische Ebene, desto größer die Zufriedenheit und das Vertrauen.
So antworteten 36% bzw. 21% der Befragten, dass sie der Gemeinde- bzw. Landespolitik am meisten vertrauen. 11% bzw. 7% nannten die Bundes- und EU-Politik. Diese Werten verhalten sich seit der ersten Erhebung der Gemeindebundstudie im Jahre 2021sehr stabil. Die Menschen differenzieren also klar zwischen einer „Politik der Nähe“ (Gemeinde- und Landespolitik) und einer „Politik der Ferne“ (Bundes- und Europapolitik). Ein föderaler Staatsaufbau kann also für das wichtige gesellschaftliche Kapital des Vertrauens und der Zufriedenheit unterstützend wirken.
Bei der burgenländischen Landtagswahl am 19. Jänner 2025 wird erstmals ein neues Vorzugsstimmensystem mit zwei Besonderheiten zur Anwendung kommen: Zum einen schlägt im Burgenland gem § 61 Abs 5 Bgld LTWO die Vorzugsstimme die Parteistimme; wird also eine Vorzugstimme für den Kandidaten einer anderen als der bezeichneten Partei vergeben, so gilt die Parteistimme automatisch auch für die Partei des angekreuzten Kandidaten (und nicht für die eigentlich angekreuzte Partei). Zum anderen erfolgt gem § 77 Bgld LTWO die Zuweisung der Mandate an die Wahlwerber der Wahlkreisliste anhand der Vorzugsstimmen und nicht nach der von der jeweiligen wahlwerbenden Partei vorgenommenen Listenreihung.
Es stellt sich die Frage, ob diese beiden Besonderheiten – man führe sich etwa im Vergleich dazu die entsprechenden Regelungen zur Wahl des Nationalrats vor Augen – mit dem wahlrechtlichen Homogenitätsprinzip vereinbar sind.
Hier gibt das Erk VfSlg 19.820/2013 Aufschluss: Der VfGH prüfte in diesem Fall eine Bestimmung der NÖ LTWahlO, welche einen Vorrang der Vorzugsstimme vor der Parteistimme festlegt („Wenn eine gültige Vorzugsstimme für Bewerber der selben Parteiliste […] abgegeben wurden, so gilt der Stimmzettel als gültige Stimme für diese Partei, selbst wenn eine andere Partei bezeichnet wurde.“), und diese für verfassungskonform befunden. In dieser Entscheidung wurde generell zur Ausgestaltung eines Vorzugsstimmensystems auf Landesebene ausgeführt: „Das System der Vorzugsstimmen stellt einen wesentlichen Aspekt der Personalisierung der Parteilisten dar. So hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Personalisierung den wahlwerbenden Parteien (VfSlg 10.178/1984) insbesondere ermöglichen soll, im Wege der Kandidatur von für die Wähler besonders attraktiven Bewerbern die Parteienpräferenz der Wähler zu beeinflussen; ein Effekt, der durch das Fehlen des ‚Stimmensplitting‘ und die Regelung, wonach eine Stimme für eine wahlwerbende Partei auch dann gültig ist, wenn zwar nicht diese, wohl aber mindestens ein Bewerber einer Parteiliste, bezeichnet ist, noch verstärkt wird.“ Weiters hielt der VfGH in diesem Erk fest: „Die Bundesverfassung enthält keine ausdrücklichen Vorschriften über die Frage der Gültigkeit bzw. Zurechenbarkeit von Stimmzetteln insgesamt und der von Vorzugsstimmen im Speziellen. Auch bilden die in der Nationalrats-Wahlordnung 1992 enthaltenen Bestimmungen keinen abschließenden Maßstab für die Ausgestaltung des Verhältniswahlsystems durch die Landesgesetzgeber […], sodass sie beispielsweise an kein bestimmtes Wahlsystem gebunden sind und ihnen auch die Regelung der Wahlkreise sowie der Wahlzahl überlassen bleibt (zB VfSlg 8852/1980). Die Entscheidung, wie die Frage der Gültigkeit eines Stimmzettels, auf dem sowohl eine Partei angekreuzt als auch ein Bewerber einer anderen Wahlpartei bezeichnet ist, geregelt wird, liegt ebenso innerhalb des rechtspolitischen Gestaltungsspielraums des jeweiligen Gesetzgebers, weshalb sich auch ein Vergleich mit den anderen Bundesländern und der Nationalrats-Wahlordnung 1992 erübrigt.“
Das zur Regelung in der NÖ LTWahlO Ausgeführte lässt sich auch auf § 61 Abs 5 und § 77 Bgld LTWO anwenden: Dem Burgenländischen Landesgesetzgeber steht es frei, ein solches Vorzugsstimmensystem, welches von den Bestimmungen der NRWO abweicht, zu regeln; das wahlrechtliche Homogenitätsprinzip steht dem jedenfalls nicht entgegen. Es ist erfreulich, wenn die Länder, wie hier Niederösterreich und Burgenland, Möglichkeiten nutzen, innerhalb der Schranken des wahlrechtlichen Homogenitätsprinzips für eine stärkere Personalisierung des Wahlrechts zu sorgen.
Als Band 20 der Reihe „Studies in Territorial and Cultural Diversity Governance” ist im Verlag Brill/Nijhoff der Tagungsband zur Konferenz der International Association of Federal Studies (IACFS) erschienen, welche von 28. Bis 30. Oktober 2021 in Innsbruck angehalten wurde. Die einzelnen Beiträge des Sammelbandes widmen sich der Frage, wie föderale und quasi-föderale Systeme geschaffen werden und ob es gemeinsame Muster bzw bestimmte Voraussetzungen gibt, welche das Entstehen bzw den Untergang föderaler Systeme begünstigen. Dabei werden auch Fallbeispiele aus Brasilien, Spanien und Italien behandelt. Peter Bußjäger/Mathias Eller/Julia Oberdanner (Hg.), The Making and Ending of Federalism, Brill/Nijhoff, August 2024, 176,- Euro.
Im aktuellen Föderalismus-Talk geht der Institutsdirektor auf die Katastrophenbekämpfung in den Ländern ein – ein Thema, der vor allem aufgrund der Hochwassersituation im September 2024 in Teilen Österreichs wieder aktuell geworden ist. Dabei zeigt sich, dass dezentrale Strukturen Vorteile mit sich bringen, die nicht von der Hand zu weisen sind. Der Talk in seiner Langfassung ist unter https://foederalismus.at/de/media/foederalismus-talk/ frei abrufbar.
Seit 1. Oktober 2024 ist Mag. Dr. Florian Klebelsberg, LL.M. neuer Institutsassistent. Damit folgt er MMag. Dr. Mathias Eller nach, der in die Tiroler Landesverwaltung wechselt. Mag. Dr. Florian Klebelsberg, LL.M. war vor seiner Tätigkeit am Institut für Föderalismus studentischer Mitarbeiter sowie anschließend Universitätsassistent im Team von Univ.-Prof. Dr. Anna Gamper am Institut für Öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre der Rechtswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Innsbruck.
Das Institut für Föderalismus möchte dem scheidenden Institutsassistenten MMag. Dr. Mathias Eller für die ausgesprochen gute Zusammenarbeit in den vergangenen vier Jahren herzlichen Dank aussprechen. Zahlreiche Publikationen, viele gemeinsam mit dem Institutsdirektor Univ.-Prof. Dr. Peter Bußjäger, stellen die gute Kooperation eindrucksvoll unter Beweis (Auswahl):
Für seine weitere berufliche Laufbahn in der Tiroler Landesverwaltung wünscht das Institut für Föderalismus MMag. Dr. Mathias Eller alles Gute!
Am 19. Oktober 2024 ist Dr. Harald Schneider, Bezirkshauptmann von Dornbirn, verstorben. Harald Schneider war in seiner Funktion als Vorstand der Abteilung Regierungsdienste des Amtes der Vorarlberger Landesregierung von 2006 bis 2021 Ersatzmitglied des Kuratoriums des Instituts für Föderalismus. Er war mit den Werten und Zielen des Föderalismus tief verbunden und uns in vielen Angelegenheiten nicht nur ein wichtiger Ratgeber, sondern auch eine wertvolle Stütze. Als Mitherausgeber des Kommentars zur Vorarlberger Landesverfassung (gemeinsam mit Dr. Matthias Germann und Dr. Borghild Goldgruber-Reiner) bin ich darüber froh, dass auch einige Kommentierungen (zu Art 40, 41, 47, 49 und 50 Vorarlberger Landesverfassung) aus der Feder Haralds stammen, der damals bereits von seiner Krankheit schwer belastet war, gegen die er tapfer angekämpft hat. Das Institut für Föderalismus hat einen großen mentalen Förderer und Ich einen persönlichen Freund verloren.
Peter Bußjäger