Regional, kommunal, feminin. Sieben Thesen zu einer weiblicheren Politik in Stadt und Land
von Kathrin Stainer-Hämmerle, 01.07.2016Die folgenden sieben Thesen sollen dazu beitragen, diese Welt etwas gerechter zu machen und zu einem demokratischen Ort für Männer und Frauen in der Überzeugung, dass gelebte Gleichstellung für beide Geschlechter ein großer Gewinn ist.
1. Es geht nicht nur um Gerechtigkeit. Es geht um bessere Ergebnisse in der Politik.
Das Argument, dass nach jahrhundertelanger Herrschaft der Männer nun die Frauen an der Reihe wären, führt nur zu einem Gegeneinander. Rache sollte weder in der Politik noch im Leben generell ein Motiv sein. Vielmehr geht es bei einer gerechten Vertretung aller relevanter gesellschaftlicher Gruppen nicht nur um Gerechtigkeit, sondern einfach um bessere Ergebnisse in der Politik. Je breiter die Entscheidungsbasis, desto tragfähiger der Kompromiss. So banal und doch nicht so einfach.
Die Idee der repräsentativen Demokratie besteht darin, dass die Parlamente das Abbild der Bevölkerung sind. Politiker sind also keine besseren Menschen (auch wenn wir uns das wünschen), sondern einfach der Spiegel von uns allen. Weiter gedacht sind Frauen keine besseren Politiker, sondern nur ebenso gut oder schlecht wie Männer. Im Vordergrund steht daher nicht die Eignung zur Politik oder gar moralische Integrität von einzelnen Individuen, sondern das Diskutieren möglichst vieler Zugänge, Erfahrungen und Hintergründe um zu guten, gerechten Ergebnissen in der Politik zu kommen.
Doch nicht nur die inhaltliche Qualität steigt mit der Diversität der beratenden und entscheidenden Gruppe. Auch der Umgang miteinander, in dem Fall der politische Stil, verbessert sich in gemischten Teams. Das zeigen zahlreiche Erfahrungen aus der Wirtschaft. Diversity Management ist schon lange Bestandteil des Personalwesens im Sinne von „soziale Vielfalt konstruktiv nutzen“. In kapitalistischen Unternehmen steht ebenfalls nicht die Gerechtigkeit im Vordergrund, sondern die Gewinnmaximierung.
2. Gehen qualifizierte Frauen, sind die Dörfer rasch leer.
Das Berlin Institut hat mit seiner Studie „Not am Mann“ bereits 2007 die Ursachen und Folgen der Abwanderung junger Frauen aus den neuen deutschen Bundesländern analysiert. Ihr Fazit: Die Regionen verarmen – sozial, wirtschaftlich und demografisch.
Das Fortgehen der jungen Frauen beschleunigt den wirtschaftlichen und sozialen Erosionsprozess. Während sich die Mädchen schon in der Schule durch gute Leistungen auf eine mögliche spätere Abwanderung vorbereiten, fallen die Jungen weiter zurück — vermutlich, weil sie sich durch die im Umfeld verbreitete Arbeitslosigkeit unter den überzähligen jungen Männern weiter entmutigen lassen. In den Landstrichen mit den größten wirtschaftlichen Problemen ist deshalb eine neue, von Männern dominierte Unterschicht entstanden, deren Mitglieder von einer Teilhabe an wesentlichen gesellschaftlichen Bereichen ausgeschlossen sind: Viele von ihnen haben keinen Job, keine Ausbildung und keine Partnerin. Genau diese misslichen Lebensverhältnisse erschweren es, den weiteren wirtschaftlichen und demografischen Abwärtstrend aufzuhalten oder gar umzukehren.
Daher ist es vor allem in von Abwanderung bedrohten Gebieten unerlässlich, qualifizierten jungen Frauen eine Perspektive zu geben. Diese kann auch darin bestehen, dass sie mitreden und mitentscheiden können. Junge, gutausgebildete Frauen kennen ihre Bedürfnisse und jene Faktoren, nach denen sie ihr weiteres Leben planen. Patriarchale Bevormundung – sei sie auch gut gemeint – wird die Entscheidung wegzuziehen eher erleichtern.
3. Kommunale Zukunftsthemen sind weibliche Domänen
Das österreichische Kommunalbarometer 2015 hat erhoben, dass die höchste Priorität der Bürgermeister/innen die Kinderbetreuung in den Gemeinden hat. 64,3 Prozent messen ihr eine sehr wichtige, 34,9 Prozent eine wichtige Bedeutung zu. Auf den Plätzen 2 und 3 sind die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie die Erhaltung der Lebensqualität zu finden. In derselben Erhebung fürchten die Gemeindechefs einen starken Anstieg bei den Aufgaben im Bereich Soziales und Pflege. 85 Prozent sind der Meinung, dass es hier zu Steigerungen kommen wird. Die Finanzierung der Pflege ist also ebenfalls eine zentrale Herausforderung aus Sicht der Bürgermeister.
Für die Bewältigung dieser Themen kann auf die weibliche Expertise eigentlich nicht verzichtet werden. Aufgrund ihrer Lebenszusammenhänge wissen Frauen meist am besten Bescheid, welche Probleme und Lösungsansätze bei Pflege oder Kinderbetreuung am sinnvollsten sind. Das selbstverständliche, kostenlose und unsichtbare Erledigen aller Betreuungspflichten bei den Jüngsten und den Ältesten durch informelles Engagement vorwiegend von Frauen wird in Zukunft nicht mehr in diesem Ausmaß unsere Sozialsysteme entlasten. Es gilt neue Wege zu finden, diese Leistung zu würdigen und auch zu professionalisieren. Frauen kennen hier die Antworten am besten, auch wenn Familienarbeit selbstverständlich nicht mehr ihre alleinige Verantwortung sein darf.
Frauen sind generell starke Stützen des kommunalen Lebens und viele Strukturen werden von ihnen getragen. Die weiblichen Netzwerke sind allerdings meist informeller Natur und erhalten üblicherweise weit weniger Aufmerksamkeit in Medien und bei offiziellen Ehrungen. Die Anerkennung und Würdigung sollte daher nicht nur in Sonntagsreden erfolgen, sondern auch durch die aktive Einbeziehung in die Entscheidungen und das Sichtbarmachen ihrer Leistungen durch mehr Öffentlichkeit oder etwa durch den Versuch der monetären Bewertung. Das Banalisieren von klassischen Frauenthemen führt in den demografischen und finanziellen Ruin.
4. Ein kommunikativer Führungsstil führt öfter zu Ergebnissen.
An dieser Stelle will ich doch ein gängiges Stereotyp ansprechen: Männer führen, Frauen sind fürsorglich. Unabhängig davon, ob diese Zuschreibung im biologischen Geschlecht begründet ist oder in der Erziehung.
Sehen wir die Frauen zugeschriebenen fürsorglichen Qualitäten einfach als Vorteil. Hauptaufgabe der Politik in einer individualisierten Gesellschaft ist das Zusammenführen der immer weiter auseinanderdriftenden Interessen. Dabei haben sich die Bedingungen für die Politik verschlechtert, denn das sich ausdifferenzierende Parteiensystem führt zu immer weniger ausgeprägten politischen Mehrheiten. Auch Bürgermeister erleben dies in ihren Gemeinderäten. So werden direkt gewählte Bürgermeister zwar mit einem zustimmenden Votum ihrer Gemeindebürger ausgestattet, im Gemeinderat finden sie aber mit ihrer Partei keine Mehrheit mehr. So werden die Bürgermeister (und selbstverständlich auch die Bürgermeisterinnen) zur permanenten Suche nach Koalitionen gezwungen. In dieser Situation ist weniger machtbewusstes Auftreten gefragt, sondern geschickte Kommunikation. Zusätzlich steht die Bevölkerung wesentlich kritischer allen Entscheidungen von vermeintlichen Autoritäten gegenüber und das im wahrsten Sinne des Wortes. Die Gefahr einer Blockade des Umsetzungsprozesses einer politischen Entscheidung durch protestbereite Bürger wird immer größer.
Autoritäre Dorfkaiser sind daher ein Modell von gestern. In Zukunft gilt es auf mehreren Ebenen Gegensätze zueinander zu bringen. In der Gesellschaft und in der Politik. Hier könnte der vermeintliche weibliche Verhandlungsstil in Zukunft doch große Vorteile bringen. Denn Frauen geht es weniger um die Durchsetzung der eigenen Interessen, sondern meist um das größere Ganze (was ihnen oft Nachteile bringt). Sie sind eher auf Harmonie bedacht (sie wurden dazu erzogen), sind vielleicht auch sensibler im Erkennen, was den anderen zuzumuten ist (wahrscheinlich aufgrund von evolutionsgeschichtlichen Bedingungen).
5. Wenn Politik für Männer unattraktiv wird, schlägt die Stunde der Frauen.
Das langsame Ansteigen der Frauenquoten in den politischen Gremien würde den Gleichstellungsprozess bei linearer Fortschreibung noch Jahrhunderte dauern lassen. Der rasante Imageverlust der Politik könnte den Prozess beschleunigen, denn politisches Engagement ist inzwischen für viele Menschen unattraktiv geworden. Arbeitszeiten rund um die Uhr, schlechte Bezahlung, viel Verantwortung, kaum Dank: Der Bürgermeister hat nicht mehr jenes Ansehen und jene Autorität wie früher. Im Gegenteil: Pauschale Kritik und Misstrauen gegenüber der Politik im Allgemeinen treffen einem in der Gemeinde oft noch persönlicher und direkter.
Doch wenn die Männer nicht mehr für politische Ämter zu gewinnen sind, müssen Frauen dennoch erst zugreifen du ein positives Verhältnis zur Macht entwickeln. Sie ist notwendig, um etwas zu verändern. Diese Veränderung kann zum Wohle vieler Menschen geschehen, Machtmissbrauch ist daher nicht zwingend, sondern hängt vom Ausübenden bzw. der Ausübenden ab.
Frauen müssen auch ihre hohen Ansprüche über Bord werfen. Eine Aufgabe annehmen erfordert Mut und gründliche Vorbereitung. Doch die Zusage darf nicht erst nach der Vorbereitung erfolgen, sondern Chancen wollen sofort ergriffen werden. Frauen müssen aber nicht nur Mut zu politischen Ämtern beweisen, sie müssen auch Kompetenz zeigen. Oft eine höhere wie sie von Männern verlangt würde, oft in Bereichen und zu Themen, die völlig neu sind. Das ist die Herausforderung in der Politik.
Was es für Frauen besonders schwer macht, ist dass sie Pionierinnen sind. Es mangelt ihnen an Vorbildern und einzelne Beispiele stehen oft für die gesamte Gruppe. Frauen müssen Führungsverhalten erst lernen und dabei werden sie auch scheitern. Doch die Begründung im Geschlecht ist trotzdem falsch. Wenn Bürgermeistern etwas misslingt, lautet die Schlussfolgerung nicht, dass sie als Männer prinzipiell für diesen Job ungeeignet wären.
6. Die Veränderung muss in den Köpfen stattfinden.
Frauen sind nicht nur doppelt- und dreifach durch Beruf und Familie belastet, es mangelt ihnen häufig an Unterstützung ihrer Umgebung für ihre politische Tätigkeit. Dieses Verhalten und das eigene schlechte Gewissen wurzeln in den unterschiedlichen Rollenerwartungen an Männer und Frauen. Die Fürsorgliche darf eben nicht die Führung beanspruchen, aber auch der Führende nicht fürsorglich sein. Dieses Vorurteil steckt in unseren Köpfen und oft genug können wir uns alle im Alltag dabei ertappen, dass wir geschlechtsuntypisches Verhalten auch als solches klassifizieren.
Frauen haben es schwerer, auch durch die Beurteilung der Öffentlichkeit in dessen Rampenlicht Politikerinnen ganz besonders stehen. Wollen Frauen ernst genommen werden, wird ihnen eine männliche Verkleidung abverlangt. Dunkle Farben, Hemden und Hosenanzüge signalisieren sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik Seriosität und Kompetenz. Wollen Frauen weiblich sein, spricht man ihnen Führungsqualität und Entscheidungsfähigkeit ab. Durchsetzungsstarke Männer sind sexy, dominante Frauen nicht. Männer diskutieren, Frauen streiten. Wir vertrauen tiefen Stimmen, hohe Töne gelten rasch als hysterisch.
Wie feminines Führungsverhalten aussehen kann, wie Frauen machtvoll agieren können ohne auf ihre Weiblichkeit zu verzichten, ist noch ein Experiment mit offenem Ausgang. Hier muss sich erst ein Bild in den Köpfen verankern oder besser mehrere Bilder einer kompetenten, führenden Frau. Dazu braucht es noch viele Role Models.
7. Madln, es isch Zeit… Es geht nur miteinander statt gegeneinander.
Netzwerken ist das Zauberwort in der Politik. Aber nicht nur Netzwerke sind wichtig, auch die ideelle Unterstützung bei der Entscheidung für politisches Engagement lässt frau unbeirrt und ausgeglichen ihre Ziele verfolgen. Dafür Beistand bei den Männern zu finden ist schwer. Solidarität von den Frauen zu erwarten aber ebenso häufig enttäuschend. Das Gefühl als Alleinkämpferin übrig zu bleiben, lässt selbst unermüdlich Scheinenden irgendwann die Lust vergehen.
Doch Frauensolidarität ist nicht möglich. Eine vielleicht provokante Aussage, aber vielleicht eine erleichternde Erkenntnis. Zu unterschiedlich sind Frauen in ihren Haltungen, Werten, Zielen und Ideologien. Frauen müssen lernen, unterschiedliche Zugänge und Lebensentwürfe zu akzeptieren und ein Nebeneinander ermöglichen. Ob ein Leben als Hausfrau oder als berufstätige Mutter, ob alleinstehend oder verheiratet, ist eine individuelle, nicht zu bewertende Entscheidung.
Männer haben diese Wahlmöglichkeit nicht. Das macht ihr Leben zwar ärmer, aber auch einfacher. Ausgestattet bereits mit dem Wettbewerbsvorteil, Konkurrenz als selbstverständlichen Teil des sozialen Lebens zu sehen und Kritik nicht so persönlich zu nehmen, müssen sie sich nicht auch noch mit der großen Konfliktlinie Familie oder Beruf herumschlagen. Ihre Lebensplanung verläuft doch weitgehend uniform und daher lassen sich Männer dadurch nicht auseinanderdividieren. Frauen müssen die Unterstützung unabhängig von ihren persönlichen Lebensentscheidungen erst lernen.
Informationen zu Kathrin Stainer-Hämmerle

k.stainer-haemmerle@fh-kaernten.at
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