Südtirol und die italienische Verfassungsreform

von , 17.02.2016

Im Oktober 2015 stimmte der italienische Senat nach heftigen Diskussionen einer Reform der Verfassung zu, die ihn von einer gleichberechtigten Kammer im Gesetzgebungsverfahren zu einer Vertretung der Regionen und Gemeinden mit stark reduzierten gesetzgeberischen Befugnissen wandelt. Damit hat er sich faktisch in seiner bisherigen Form abgeschafft. Zwar fehlt im Verfassungsreformprozess noch eine letzte Abstimmung in der Abgeordnetenkammer im April 2016, doch deren Ausgang gilt aufgrund der absoluten Mehrheit der Regierung Renzi, die die Verfassungsreform eingebracht hat, als gesichert. Als letzter Schritt wird im Oktober 2016 eine Volkabstimmung über das Inkrafttreten der Reform stattfinden.

Ziel der Reform ist die Überwindung des Systems zweier gleichberechtigter Kammern (Abgeordnetenkammer und Senat) im Gesetzgebungsverfahren, das als schwerfällig, ineffizient und kostenintensiv angesehen wird. In Kombination mit einer 2015 verabschiedeten Reform des Wahlrechts zur Abgeordnetenkammer, die der stimmenstärksten Partei automatisch die absolute Mehrheit zuspricht, soll die Gesetzgebung schneller und das  Regieren effizienter werden. Der Senat verliert bis auf wenige Ausnahmen (z.B. Verfassungsgesetze) seine gleichberechtigte Position im Gesetzgebungsverfahren. In Zukunft kann er sich lediglich zu Gesetzestexten der Abgeordnetenkammer äußern, ohne diese an allfällige Änderungswünsche binden zu können. Zudem wird der Senat nicht mehr direkt gewählt, sondern 95 Senatoren werden von den Regionalräten und den beiden Landtagen von Bozen und Trient aus ihren Reihen bzw aus den Bürgermeistern der Region gewählt, fünf Mitglieder weiterhin vom Präsidenten der Republik ernannt. Entsprechend ist die Abgeordnetenkammer alleinige Trägerin des Vertrauensverhältnisses.

Ein weiteres Ziel, das in der öffentlichen Diskussion eher im Hintergrund blieb, ist der Rückbau der 2001 von den Regionen hinzugewonnenen Gesetzgebungsautonomie. Die (Re)Zentralisierung einer Reihe von Zuständigkeiten beim Staat soll Konfliktpunkte zwischen Staat und Regionen beseitigen. Quasi als Ausgleich werden die Regionen erstmals durch den neu gestalteten Senat direkt an der staatlichen Gesetzgebung beteiligt.

In Südtirol sorgte vor allem die Neugestaltung der bereits im Jahre 2001 reformierten regionalen und staatlichen Kompetenzen für Diskussionen. Anlässlich der Reform von 2001 bestimmte eine eigene Klausel, dass die Südtiroler Gesetzgebungs- und Verwaltungsautonomie automatisch durch alle weiterführenden Formen der Autonomie angereichert werden sollte, während die gesamte Neuordnung erst im Zuge einer – bisher nicht erfolgten - Anpassung des Autonomiestatuts Anwendung finden würde. Trotzdem erwies sich die Reform ab Mitte des letzten Jahrzehnts in vieler Hinsicht auch als Einschränkung. Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zu den ausschließlichen, häufig funktional interpretierten staatlichen Gesetzgebungskompetenzen wie Schutz des Wettbewerbs oder  die wesentlichen Standards im Bereich der bürgerlichen und sozialen Grundrechte sorgte dafür, dass die Gesetzgebungs- und Verwaltungsautonomie Südtirols sukzessive inhaltlich beschränkt wurde. Der Schutz des Wettbewerbs zwingt auch Südtirol zu umfassenden Liberalisierungen, z.B. bei Ladenöffnungszeiten oder bei der Festlegung von Gewerbezonen, ohne dass der Landesgesetzgeber entsprechend den geografischen, sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten differenzieren kann. Zu den wesentlichen Standards im Bereich der Grundrechte gehören nach Ansicht des Verfassungsgerichts auch die Verwaltungsverfahren, die auf dem gesamten Staatsgebiet gleich gestaltet sein müssen, womit die organisatorische Autonomie Südtirols wesentlich eingeschränkt wird.

Mit der Reform von 2016 werden die ausschließlichen Befugnisse des Staates konsolidiert und weiter ausgebaut, zum Beispiel hinsichtlich der Regelung der Arbeitsverhältnisse mit der öffentlichen Verwaltung oder der Koordinierung der öffentlichen Finanzen. Zudem kann der Staat in jedem Sachbereich regionaler Zuständigkeit zum Schutz der rechtlichen oder wirtschaftlichen Einheit der Republik oder zum Schutz des nationalen Interesses gesetzgeberisch tätig werden. Ob die Beteiligung des Senats an der staatlichen Gesetzgebung tatsächlich dazu führen wird, dass die Interessen der regionalen Ebene in der staatlichen Gesetzgebung ausreichend berücksichtigt werden, wird sich erst allmählich weisen. Zudem vertritt der Senat auch die Gemeinden und Stadtmetropolen, die als Verwaltungskörperschaften durchaus andere Interessenlagen als die Regionen aufweisen können.

Auch die Reform von 2016 enthält eine Schutzklausel für die Südtiroler Autonomie, die bestimmt, dass die zentralistisch ausgerichtete Neuordnung der Kompetenzen gegenüber der Südtiroler Sonderautonomie keine Anwendung findet. Auch kann Südtirol im Wege eines paktierten Gesetzes neue Zuständigkeiten, etwa den Umweltschutz, erhalten. Zudem ist es gelungen, eine etwaige Überarbeitung des Autonomiestatuts an ein Einvernehmen mit dem Land zu koppeln. Schutzklausel und Einvernehmen waren für die Südtiroler Volkspartei Voraussetzung, um in den Abstimmungen zur Reform mit ihrem Bündnispartner Partito Democratico, der Partei von Ministerpräsidenten Renzi, zu stimmen, obwohl dies innerparteilich und durch die deutschsprachige Opposition scharf kritisiert wurde (und wird).

Die Schutzklausel verhindert eine direkte Anwendung der neuen Kompetenzordnung zum Nachteil Südtirols. Allerdings sind indirekte Auswirkungen nicht auszuschließen, wenn der staatliche Gesetzgeber in Ausübung seiner ausgebauten ausschließlichen Gesetzgebungsbefugnis dem Landesgesetzgeber immer engere Vorgaben setzt. Auch aus diesem Grund wird derzeit versucht, im Wege eines Verfassungsgesetzentwurfes vor Inkrafttreten der Reform den Kompetenzkatalog des Autonomiestatuts zu konsolidieren und durch eine Neuformulierung verschiedener Sachbereiche weiteren restriktiven Auslegungen des Verfassungsgerichtshofs zu begegnen. Was die Rolle des Senats in der staatlichen Gesetzgebung anbelangt, gilt auch aus Südtiroler Perspektive das vorhin Gesagte, ergänzt um die Überlegung, dass es schwer werden dürfte, mit zwei Senatoren (respektive vier Senatoren, wenn man die Trentiner Interessenlage als dieselbe einschätzt) spezifische Südtiroler Interessen einzubringen, außer es handelt sich um ein Anliegen, dass allen nachgeordneten Gebietskörperschaften gemeinsam ist. Das bedeutet wohl auch, dass trotz Umgestaltung des Senats in eine Vertretung der territorialen Institutionen der goldene Weg zur Bewahrung und zum Ausbau der Südtirol-Autonomie weiterhin über bilateral mit dem Staat verhandelte Durchführungsbestimmungen zum Statut und über eine Ausgestaltung des Autonomiestatuts führt.

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