50 Jahre Föderalismus im ORF
von Wolfgang Burtscher, 15.07.2022„Wir schließen heute das letzte Glied einer Kette, die Österreich endlich auch im Rundfunkwesen als einen Bundesstaat ausweist. Es ist das erste Mal seit Bestand beider Republiken, dass der Rundfunkföderalismus weder nur Wunschtraum noch bloßer Gesetzesauftrag ist. Alle neun Länder haben nun ihr Funkhaus.“ Mit diesen Worten hat ORF-Generalintendant Gerd Bacher am 20. Oktober 1972 das Funkhaus Dornbirn als letztes der vier noch fehlenden Funkhäuser in Oberösterreich, Salzburg, Tirol und eben Vorarlberg eröffnet. 50 Jahre Föderalismus im Rundfunk: Anlass für eine Rückschau.
Entscheidend für die Föderalisierung war der seit 1967 amtierende Bacher, durch das von den Zeitungen initiierte Volksbegehren und die dadurch erfolgte Herauslösung aus den Klammern von SPÖ und ÖVP ins Amt gekommen. Schon in seiner Antrittsrede sagte Bacher: „Der ORF muss die Republik als Summe ihrer Länder begreifen und nicht als die Vorstellung Wien = Österreich“. Konsequenterweise war eine von Bachers ersten Taten eine Rundreise durch die Bundesländer. In den genannten vier Ländern waren die Landesstudios in Untermiete und Provisorien untergebracht. In Oberösterreich im Finanzamt, in Salzburg in einem Kloster, in Vorarlberg im Rathaus und im Schlossbräu Dornbirn und in Tirol gar in der Landesregierung.
Bachers zu Tirol: „Wie man dort arbeiten konnte, bei aller Gastfreundschaft, kann man sich vorstellen.“ Bacher beauftragte den renommierten Architekten Gustav Peichl, Sieger eines Wettbewerbs mit 44 Projekten, dass die Studios gleich auszusehen und schon in der Architektur zu demonstrieren hätten, hier stehe etwas Besonderes: „Wir wollten mit den Landesstudios ja nicht die Länder repräsentieren, sondern den ORF in den Ländern. Wenn wir ein Schindelgebäude und einen jodelnden Hirtenbuben hingestellt hätten, was manchen sehr gefreut hätte, wäre nie jemand auf die Idee gekommen, das ist der ORF, sondern jetzt samma in Tirol, holadero.“
Natürlich gab es damals Proteste und die Forderung, es genüge im Sieben-Millionenland Österreich ein zentrales Funkhaus. Bacher in Dornbirn: „Im Kulturland Österreich stellt man also die Überlegung an, ob der größte Informations- Kultur-, Bildungs- und Unterhaltungsbetrieb auch in den Ländern ein eigenes Domizil haben dürfte, während kein Mensch auf die Idee käme, sich über andere öffentliche Arbeitsstätten wie Bahnhöfe, Gerichte, Schulen usw. zu mokieren oder etwa die prächtigen Bauwerke gesellschaftlicher Repräsentanz von Gewerkschaften und Kammern.“ Zentralistisch, so Bacher, könnte man möglicherweise die ganze Republik billiger haben. „Das könnte uns aber politisch teurer kommen als der Föderalismus, der sich nicht erst einmal als die Frischzelle vom Erstarren bedrohter Strukturen erwiesen hat. Wir traurigen Nachzügler vom ORF hoffen, im Lauf der Jahrzehnte ebenfalls in das gesellschaftliche Selbstverständnis einzugehen“. Peichls Konzept war bestechend. Er ging davon aus, dass man einem technischen Zweckbau auch in den Details ansehen sollte, dass es ein technischer Bau war. Leitungen wurden nicht versteckt, sondern in Röhren untergebracht, die den Funkhäusern ihr bis heute unverwechselbares Gesicht verleihen. Genial war das Konzept, dass man die kreisförmig angelegten Funkhäuser problemlos nach außen erweitern konnte. Dadurch war die ab 1980 einsetzende Fernseh-Regionalisierung auch baulich leicht umzusetzen. Dass „Bundesland heute“ neben der „Zeit im Bild“ die erfolgreichste ORF-Sendung überhaupt ist, wäre ohne die Infrastruktur der vor 50 Jahren geschlossenen Kette von Funkhäusern nicht möglich gewesen.
Informationen zu Wolfgang Burtscher

Zur Übersicht