Eine Lücke im Gewissen der regionalen Verwaltung

von Wolfgang Weber, 25.02.2021

Der Enthusiasmus war groß, als 1977 die Volksanwaltschaft geschaffen wurde. Der Verfassungsrechtler Theo Öhlinger begrüßte sie in einem Aufsatz im selben Jahr als Gewissen der öffentlichen Verwaltung. Ein Befund, den die ÖVP-Volksanwältin Gertrude Brinek in einem Interview mit der Gemeindezeitschrift Kommunal 2017 selbstbewusst bestätigte. Es wäre das Selbstverständnis der Volksanwaltschaft, die öffentliche Verwaltung auf Missstände im Vollzug aufmerksam zu machen und darüber hinaus Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten, so Brinek.

Während sieben der neun österreichischen Bundesländer die Aufsicht und Kontrolle ihrer Landes- und Kommunalverwaltungen der Volksanwaltschaft als Organ der Republik in Wien unterstellten, gingen Vorarlberg und Tirol einen anderen Weg. Sie implementierten 1985 und 1989 eigene Landesvolksanwaltschaften. Tirol räumte seinem Gewissen der regionalen öffentlichen Verwaltung gar eine Zuständigkeit für die mittelbare Bundesverwaltung im Land ein.

Drei „Gewissenheiten“ für die Volksanwaltschaft

In Vorarlberg legen die Artikel 59-61 der Landesverfassung und das einschlägige Gesetz die Aufgaben des Landesvolksanwaltes fest. Sie eröffnen dem Amtsinhaber die Möglichkeit, als Anwalt der Bürger:innen, als deren Ombudsmann und als Mediator aufzutreten. Je nach gesellschafts- und wirtschaftspolitischem Umfeld war eine Rolle während einer Amtszeit in der Außenwahrnehmung dominanter als die beiden anderen. So wurde der erste Vorarlberger Volksanwalt Nikolaus Schwärzler (1985-1997) stark in seiner Rolle als Anwalt wahrgenommen; der zweite Felix Dünser (1997-2009) mehr als Ombudsmann; und die erste Frau im Amt Gabriele Strele (2009-2015) als Mediatorin. Das war auch in flankierenden Gesetzesbeschlüssen während deren Amtsjahren begründet. Das Landesfrauenförderungsgesetz 1997, das Antidiskriminierungsgesetz 2005 oder das Chancengesetz 2006 stärkten z.B. die Rolle des Ombudsmannes. So wie die Einrichtung einer OPCAT-Kommission 2012 und die Etablierung eines Monitoring-Ausschusses zur Kontrolle der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention 2015 bei der Landesvolksanwaltschaft für deren menschenrechtliche Aufgaben ein Turbobooster war.

Auf dem Weg zur kognitiven Dissonanz

Im letzten Jahr der Amtsperiode des aktuellen Vorarlberger Landesvolksanwaltes Florian Bachmayr-Heyda entzog der Vorarlberger Landtag seinem Kontrollorgan die OPCAT-Aufgaben und gab sie zurück an die Bundesvolksanwaltschaft. Die Verselbständigung des regionalen Monitoring-Ausschusses bzgl. UN-Behindertenrechtskonvention, die bis dato vom Landesvolksanwalt kraft Amtes geführt wurde, ist der nächste real- und inklusionspolitisch notwendige Schritt. Denn warum in Vorarlberg ein solches Kontrollorgan nicht wie in anderen österreichischen Bundesländern auch autonom durch Selbstvertreter:innen und Betroffene geführt werden soll, erschließt sich Außenstehenden nicht.

Am 2. Februar 2021 teilte der Bregenzer Bürgermeister der Presse mit, dass Florian Bachmayr-Heyda Stadtamtsdirektor in Bregenz werde. Eine Cooling-Off-Phase wie sie in manchen Sektoren der Privatwirtschaft praktiziert wird, wenn eine Führungskraft innerhalb desselben Handlungsfeldes den Arbeitgeber wechselt, oder wie sie künftig VGH-Richter:innen nach Bestellung durchlaufen sollen, ist in diesem Fall nicht vorgesehen. Das ist bemerkenswert, zumal hier ein Rollenwechsel vom Gewissen der öffentlichen Verwaltung an eine kommunale Spitze eben dieser Verwaltung vorliegt. Der Kontrollor wird zum Kontrollierten.

Ein drohendes Interregnum

Landtagspräsident Harald Sonderegger zeigte sich in einer ersten Reaktion gelassen. Die Stelle werde neu ausgeschrieben und bis zur Wahl des neuen Volksanwaltes vermutlich im Herbst 2021 vakant bleiben. Aus Anlass der Übergabe der Verzichtserklärung des Landesvolksanwaltes an ihn am 4. Februar 2021 korrigierte der Landtagspräsident seine Position und verwies darauf, dass der aktuelle Landesvolksanwalt mit 9. April 2021 ausscheiden werde und die Wahl der Nachfolge bereits in der Landtagssitzung am 14. April stattfinden könne. Tatsächlich schreibt der Artikel 61 der Vorarlberger Landesverfassung die unverzügliche Wahl eines Nachfolgers vor, wenn ein amtierender Landesvolksanwalt für mehr als sechs Monate verhindert ist.

Vor dem Hintergrund der historischen Erfahrung ist eine Neubestellung Mitte April ein ambitioniertes Programm. Die Bestellungen des ersten und des gegenwärtigen Volksanwaltes dauerten Wochen und sie waren von hartem Parteiengezänk um die Bewerber gekennzeichnet. 1985 winkten aussichtsreiche Kandidaten bereits im Vorfeld ab. 2015 benötigte es zwei Ausschreibungen und eine dritte drohte, weil sich die ein halbes Jahr zuvor neu gewählte Koalitionsregierung nicht mit der Opposition auf eine 3/4 Mehrheit für einen Kandidaten einigen konnte. Derlei partei- und machtpolitisch motivierter Hader schadet dem Ansehen einer Bürgerservicestelle, die sich in 36 Jahren unbestrittene Verdienste als Anwältin, Ombudsfrau und Mediatorin erworben hat. Sie nicht unverzüglich zu besetzen wie es die Landesverfassung vorsieht würde den Gang in eine Phase ohne Gewissen einer öffentlichen Verwaltung bedeuten.

 

 

Informationen zu Wolfgang Weber

Gastprof. (FH) Priv.-Doz. Mag. Dr. Wolfgang Weber, MA, MAS ist habilitierter Zeithistoriker und erstellte für das Institut für Partizipation und Analyse eine Funktionsgeschichte der Vorarlberger Volksanwaltschaft, siehe: https://drvogler.consulting/blog/

wolfgang.weber(at)fhv.at

Informationen zu Wolfgang Weber



Wolfgang  WeberPriv.-Doz. Dr. Wolfgang Weber ist Gastprofessor an der FH Vorarlberg und habilitiertes Mitglied des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck. Dort lehrte er u.a. Einführung in das Verfassungs- und Rechtsleben sowie Grundlagen der Politischen Bildung.

wolfgang.weber@fhv.at

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