Föderalismus in Zeiten von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz
von Holger Greve, 21.11.2025Ausganslage
Der Siegeszug digitaler Technologien und Künstlicher Intelligenz (KI) führt zu tiefgreifenden Auswirkungen auf die Gesellschaft und verändert auch die Art und Weise, wie Staaten mit ihren Bürgern interagieren und Dienstleistungen erbringen. Die Digitalisierung verbessert die Effizienz und Zugänglichkeit, während generative und prädiktive KI ein transformatives Potenzial für alle Sektoren bieten.
Herausforderungen
Allerdings gefährden insbesondere in föderal ausgerichtete Staaten fragmentierte Insellösungen auf den verschiedenen Verwaltungsebenen eine effiziente Implementierung digital vernetzter Verwaltungsprozesse. Dies lässt sich exemplarisch anhand der Bundesrepublik Deutschland veranschaulichen. Gemäß dem föderalen Staatsaufbau des Grundgesetzes sind die Länder grundsätzlich für die Ausführung von Gesetzen zuständig (Art. 30, 83 GG), sofern das Grundgesetz keine andere Zuweisung vorsieht oder zulässt. Dabei sieht die grundgesetzliche Zuständigkeitsverteilung grundsätzlich vor, dass zwischen der Zuständigkeit für die Sachaufgabe und der Zuständigkeit für Verfahren und Organisation ein Konnex im Sinne einer eigenverantwortlichen Wahrnehmung besteht. Diese verfassungsrechtlich determinierte Grundeinstellung begünstigt fragmentierte Insellösungen und erschwert somit eine zügige Digitalisierung der Verwaltung und von Verwaltungsleistungen erheblich. Daher stellt sich die Frage, welche Optionen im Föderalstaat bestehen, um neue Technologien effektiv zu integrieren, zu operationalisieren und zu administrieren. Dies kann hier aber nur exemplarisch und skizzenhaft beantwortet werden.
Schaffung einer Infrastrukturkompetenz?
Eine zentrale Infrastrukturkompetenz, die es dem Bund im Hinblick auf den Vollzug von Bundesgesetzen durch die Länder ermöglicht, beispielsweise Infrastruktur, IT-Basiskomponenten und Fachverfahren verbindlich vorzugeben und in einzelnen Bereichen zur Nachnutzung bereitzustellen, besteht bisher nicht im Grundgesetz (GG). Hierfür wäre eine Grundgesetzänderung erforderlich, die jeweils eine 2/3 Mehrheit in Bundestag und Bundesrat voraussetzt (vgl. Art. 79 Abs. 2 GG). Ob eine solche Verfassungsänderung angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag und Bundesrat in dieser Legislaturperiode aber umgesetzt werden kann, bleibt abzuwarten.
Weitere Handlungsoptionen
Gemäß Art. 91c Abs. 1 GG können Bund und Länder bei der Planung, Errichtung und dem Betrieb informationstechnischer Systeme, die sie für ihre Aufgabenerfüllung benötigen, zusammenwirken. Es bedarf daher eines Mindestmaßes an Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Die von Art. 91c Abs. 1 GG erfassten IT-Komponenten müssen jeweils „für die Aufgabenerfüllung“ von Bund und Ländern benötigt und damit innerhalb ihrer Zuständigkeiten genutzt werden. Art. 91c GG ermächtigt den Bund jedoch nicht, als IT-Dienstleister der Länder nach dem Prinzip „Einer für alle“ zu handeln. Insbesondere enthält Art. 91c GG keine umfassende „Digitalisierungs-(finanzierungs)kompetenz“.
Bundesgesetzliche Vorgaben zur technischen Infrastruktur und zur elektronischen Abwicklung von Verwaltungsverfahren für den Verwaltungsvollzug von Bundesrecht durch die Länder
Gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG regeln die Länder, wenn sie Bundesrecht als eigene Angelegenheit ausführen, die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren. Sie müssen die Aufgaben eigenverantwortlich, d. h. mit eigenen Mitteln, eigenem Personal, eigener Organisation und eigenem Verfahren erfüllen. Bei der Ausführung von Bundesgesetzen in Landeseigenverwaltung verfügt der Bund nur dann über eine Normsetzungsbefugnis im Hinblick auf Behördenorganisation und Verwaltungsverfahren, wenn er im jeweiligen Sachbereich auch das materielle Recht regeln darf (Gesetzgebungskompetenz des Bundes). Der Bundesgesetzgeber kann mithin im Rahmen seiner materiellen Gesetzgebungskompetenz auch im Falle des Landesvollzugs Regelungen zum Verwaltungsverfahren sowie zur Einrichtung der Behörden treffen (Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG). Dies betrifft auch Vorgaben zur technischen Infrastruktur (bspw. einheitliche Basiskomponenten) bzw. zur elektronische. Abwicklung der Verwaltungsverfahren (bspw. Vorgaben zu Fachverfahren). Den Ländern steht in diesem Fall ein Abweichungsrecht zu, welches der Bundesgesetzgeber unter den Voraussetzungen des Art. 84 Abs. 1 Sätze 5 und 6 GG für das Verwaltungsverfahren mit Zustimmung des Bundesrates ausschließen kann. Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG legitimiert somit einen Eingriff des Bundes in die Eigenverantwortlichkeit der Länder beim Vollzug von Bundesgesetzen gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG. Voraussetzung hierfür ist ein Bundesgesetz.
Zentralisierung und Bündelung Verwaltungsleistungen
Ein weiterer Lösungsansatz kann sich durch die Zentralisierung und Bündelung bestimmter Verwaltungsdienstleistungen ergeben. Dies kann auf Bundesebene, aber auch in den Bundesländern erfolgen. Die Zentralisierung und Bündelung von spezifischen Verwaltungsleistungen beim Bund durch die Schaffung zentraler digitaler Angebote kann zum einen die Kommunen entlasten, die vielfach mit Verwaltungsaufgaben belastet sind, die nicht zum Kernbereich der eigenen Aufgabenwahrnehmung gehören. Zum anderen können zentrale und damit einheitlich angebotene Verwaltungsleistungen dazu beitragen, dass für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen klare Zuständigkeiten bestehen und eine effiziente Erledigung gewährleistet wird. Hierfür eignet sich insbesondere die Abwicklung von Standardfällen, die mit einer hohen Fallzahl verbunden ist. Ferner kommen vor allem gebundene Entscheidungen in Betracht, die keinen unmittelbaren lokalen Bezug aufweisen. Eine Aufgabenübertragung an den Bund für den Verwaltungsvollzug von Verwaltungsleistungen, wie beispielsweise der internetbasierten Kfz-Zulassung oder der Gewährung von Wohngeld, Elterngeld oder BAföG, richtet sich grundsätzlich nach Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG. Demnach kann der Bund für Angelegenheiten, für die ihm die Gesetzgebung zusteht, durch Bundesgesetz selbstständige Bundesoberbehörden sowie neue bundesunmittelbare Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts errichten und ihm Aufgaben übertragen.
Daneben kann insbesondere auf Landesebene der Ansatz „einer für alle“ verfolgt werden, bei dem ein Bundesland die notwendigen IT-Lösungen für die anderen Bundesländer entwickelt und sich die anderen Bundesländer zur Übernahme dieser Lösungen verpflichten. Dies ist nicht nur wesentlich effizienter, sondern führt auch zu erheblichen Kosteneinsparungen für die Bundesländer.
Fazit
Ein entscheidender Vorteil föderaler Systeme besteht darin, dass der Fokus und die möglichen Ansätze zur Förderung von Innovationen und neuen technologischen Prozessen viel umfassender sind, als wenn nur eine Ebene sich mit diesen Fragen befassen würde. Dadurch steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass letztendlich die bestmögliche Lösung zum Nutzen aller gefunden wird.
Informationen zu Holger Greve
Dr. Holger Greve ist Referent im Bundesministerium des Innern und war im Aufbaustab des Bundesministeriums für Digitales und Staatsmodernisierung tätig. Er ist Lehrbeauftragter an der Universität Leipzig und war zuletzt Speaker auf dem Forum25: The Relevance of the Federal Idea in a Changing World in Ottawa (Forum25 – The Relevance of the Federal Idea in a Changing World). dr.holger.greve@gmail.com
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