Macht Föderalismus glücklich?
von Andreas Pehr, 09.01.2023Macht Föderalismus glücklich?
Im Föderalismus teilt man Entscheidungsgewalt. Nicht eine zentrale Ebene allein bestimmt die Politik für alle, sondern dezentrale Einheiten entscheiden mit. Diese Machtverteilung soll es ermöglichen, dass die politische Antwort auf die vielfältigen Anforderungen und Bedürfnisse der Gesellschaft bürger:innennah und bedarfsgerecht ist. Das ideale Resultat: politisch glückliche Bürger:innen. Föderalismus und Dezentralisierung könnten so Good Governance vorzeigen. Allerdings beinhalten beide Prinzipen Risiken und mögliche negative Effekte - z. B. hohe Zustimmungskosten/langsame Entscheidungsfindung, Korruption oder politische Unübersichtlichkeit. Die bisherige wissenschaftliche Empirie zeigt jedoch hauptsächlich einen positiven Zusammenhang zwischen Föderalismus/Dezentralisierung und Glücklichsein.
Föderalismus macht Bürger:innen glücklich
Das erste Hauptargument der politischen Theorie zugunsten des Föderalismus ist politische Nähe. Lokale und regionale Entscheidungsträger:innen können durch ihre erhöhte Vertrautheit mit den örtlichen Bedürfnissen und Gegebenheiten maßgeschneiderte und pragmatische Alternativen zu zentral komplexen bürokratischen Verfahren anbieten. Die Chance auf passgenau Treffsicherheit der Politik wird dadurch erhöht.
Das zweite Argument betrifft die politische Beteiligung. Da Entscheidungen in der Nähe der betroffenen Bürger:innen getroffen werden, ist der Anreiz der Bürger:innen höher Teil des Prozesses zu sein und die individuelle Meinung sowie individuelles Wissen in das Ergebnis einfließen zu lassen. Dieser Stimulus wiederum unterstützt den Informationsaustausch zwischen Bürger:innen untereinander und mit den Entscheidungsträger:innen. Die aktive und gut informierte Bürger:in verbessert dadurch die Qualität der getroffenen Entscheidungen und trägt einer geäußerten Präferenzheterogenität Rechnung (Elazar 1993, Härtel 2012).
Das dritte Argument zielt auf das lernende System des Föderalismus ab. Regionen können als «Sandkästen» fungieren um neue politische Ansätze zu testen und fehlgeschlagene oder erfolgreiche Programme rückzumelden. Aufgrund der Regionalität dieser Programme können sie bei Bedarf leicht geändert und angepasst werden. Föderalismus also als Labor für gesellschaftliche, wirtschaftliche und administrative Experimente mit einem dazugehörigen Wettbewerb um die beste Politik und politische Praxis (Tarr 2001).
Föderalismus bedeutet somit „kleinere, direkt rechenschaftspflichtige, selbstverwaltete politische Einheiten, die stärker auf die einzelne Bürger:in eingehen […]“[1] (Watts 2007:1 ff., Juschkow 2015). Mit anderen Worten, Politik kann bürger:innennah, zielgerichteter und damit effizienter sein. Folglich könnten Bürger:innen in föderalen Systemen zufriedener und glücklicher mit der Politik sein, mehr Vertrauen in politische Institutionen haben und eine hohe Zustimmung zum politischen System aufweisen.
Föderalismus macht Bürger:innen unglücklich
Die politische Theorie zeigt aber auch mögliche Kehrseiten und Nachteile des Föderalismus. Die Vervielfachung von Parlamenten und Politiker:innen kann eine in jeglicher Hinsicht kostenintensive Vergeudung sein – politisch und finanziell (Wachendorfer-Schmidt 2000). Kosten um zu einer Entscheidung zu gelangen steigen um die Zahl der beteiligten Akteure (Buchanan und Tullock 1965). Dies macht Föderalismus teuer und nationale Regierungen können so in der Umsetzung wichtiger Projekte eingeschränkt oder behindert werden. Dezentrale Entscheidungsträger:innen haben die Macht in ihren Regionen einzelgängerische Sonderwege zu gehen, eine ungesunde quid-pro-quo-Politik gegenüber dem Gesamtstaat zu betreiben oder diesen gar zu blockieren. Außerdem wird lokalen oder regionalen Interessengruppen aufgrund dezentraler Entscheidungsebenen mehr Gelegenheit zu politischer Korruption gegeben (Treismann 2000). Im schlimmsten Fall führt Föderalismus zu einem regionalen Flickenteppich, Reformresistenz, Blockadepolitik oder gar zu einer Unregierbarkeit.
Da Staatsgewalt geteilt ist, kann Föderalismus eine Situation schaffen, in der Kompetenzen unklar, intransparent und umstritten sind (Rodden 2006). Durch „das Hinzufügen von Regierungsebenen und die Erweiterung von Bereichen gemeinsamer Verantwortung kann das Abschieben von Schuld oder das Beanspruchen von Leistungen erleichtert werden und somit die politische Zurechnungsfähigkeit verringern“[2] (Rodden 2004: 494). Für die Bürger:innen kann eine föderale Struktur daher verwirrend sein und eine Abstrafung an der Wahlurne verunmöglichen oder die falschen Personen treffen. Denn Bürger:innen verfügen selbst nur über begrenzte Ressourcen um die Staatsführung zu überwachen und zu kontrollieren. Im Gegensatz zu einer einzigen könnten mehrere Regierungsebenen die Bürger:innen also genau daran hindern Regierungsaktivitäten gründlich im Auge zu behalten (Franzese 2001). Insgesamt kann der Föderalismus Hindernisse bergen, die einer besseren Regierungsführung und damit zufriedeneren Bürger:innen stark im Wege stehen und politische Frustration erzeugen können.
Stand der Forschung
Insgesamt deutet die Literatur also darauf hin, dass der Einfluss von politischer Dezentralisierung auf Glück und Zufriedenheit eine empirische Frage ist, da beide staatlichen Ordnungen – Unitarismus und Föderalismus – theoretische Pro- und Contra-Argumente haben. Frühe qualitative und quantitative Fallstudien zeigen, dass die Bürger:innen zufriedener mit und größeres Vertrauen in lokale und regionale Regierungen haben als mit Zentralregierungen (Farnsworth 1999, Kincaid/Cole 2000 et 2010). Für die Schweiz stellen Frey/Stutzer (2000) fest, dass lokale Autonomie Glücklichsein steigert. Groß-N-Querschnittsanalysen zeigen, dass u.a. die Bürger:innen in föderalen Ländern glücklicher sind als in unitaristischen (Voigt/Blume 2012) sowie, dass „Föderalismus und lokale Autonomie das Glücklichsein der Bevölkerung hebt“ (Malah-Kuete/Mignamissi/Kuete 2022: 604)[3].
Eher ambivalente Studienergebnisse in dieser Frage ermitteln, dass der Einfluss der politischen Dezentralisierung auf die Zufriedenheit der Bürger:innen je nach Bereich (in dieser Studie: Bildungssystem und Gesundheitsdienste) variiert (Diaz-Serrano/Rodríguez-Pose 2012) und dass die Wirkung der politischen Dezentralisierung auf das «subjektive Wohlbefinden» durch die Qualität der nationalen Regierungsführung moderiert wird (Rodríguez-Pose/Tselios 2019).
Zusammengefasst zeigen föderalen Happiness-Studien entweder einen positiven Einfluss von Föderalismus auf das Glück, einen unschlüssigen oder keinen Effekt. Interessanterweise zeigte keine Studie einen rein negativen Zusammenhang zwischen Föderalismus und Glücklichsein.
Fazit
Normativ ist ein guter Staat ein Staat, der in der Lage ist die politische Zufriedenheit seiner Bürger:innen zu maximieren. Die politische Theorie zeigt dabei für den Föderalismus plausible Für- und Gegen- Argumente auf. Im Gegensatz dazu hat die Empirie mehrheitlich eine einheitliche Antwort: Föderalismus/Dezentralisierung macht glücklicher. Und nicht nur das; überraschenderweise wurde in keiner einzigen Studie ein negativer Zusammenhang gefunden. Ein Grund mag darin liegen, dass diese Studien oft auf Stichproben beruhen die von industrialisierten, westlichen Ländern dominiert werden. Eine große Schwierigkeit für umfassendere empirische Arbeiten liegt hierbei vor allem in der Verfügbarkeit von belastbaren Daten. Die Theorie liefert Bedenken, dass das Verhältnis von Staatsordnungen und Glück und Zufriedenheit nicht so einseitig ist wie die Empirie vermuten lässt. Dadurch bleibt die Frage doch noch etwas offen: Machen Föderalismus und Dezentralisierung auch dann glücklich, wenn Föderationen und dezentralisierte Länder außerhalb von Nordamerika und Europa in größerer Zahl in die Stichproben aufgenommen worden sind?
[1] Übersetzung aus dem Englischem durch den Autor.
[2] Übersetzung aus dem Englischem durch den Autor.
[3] Übersetzung aus dem Englischem durch den Autor.
Informationen zu Andreas Pehr

Andreas.Pehr@eurac.edu
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