Reformvorschläge des Landes Kärnten zur Gewerbeordnung
von Peter Kaiser, 23.11.2016Eine Expertengruppe des Landes Kärnten hat in meinem Auftrag ein Positionspapier zur Deregulierung und Entbürokratisierung des Gewerberechtes vorgelegt. Im Sinne einer längerfristigen Diskussion dieser komplexen Rechtsmaterie erlaube ich mir, diese Überlegungen vorzustellen, auch wenn die politische Willensbildung auf Bundesebene bereits zu einem Kompromiss geführt hat.
Im Bereich des Berufsrechtes nennt die Kärntner Arbeitsgruppe etwa konkret die Deregulierung der derzeit ca. 400 freien Gewerben auf DAS freie Gewerbe, die Beseitigung von unverständlichen Ungleichheiten bei Gewerbezugängen sowie eine Vereinheitlichung von Zugangsverordnungen. Weiters sollen gleichartige Gewerbe zusammengeführt werden. Dass eine Kosmetikerin nach der Lehrabschlussprüfung für die Befähigung drei Jahre Praxis vorweisen muss, um die Voraussetzung für ein Gewerbe zu haben, ein Friseur, dessen Tätigkeit vom gesundheitlichen Standpunkt aus nicht mit der gleichen Verantwortung einhergeht, aber deutlich mehr, nämlich Lehrabschlussprüfung plus drei Jahre leitende Tätigkeit, ist nicht zu erklären. Ebenso wenig, dass für die Personenbeförderung mit PKW neben der Befähigungsprüfung zusätzlich eine dreijährige Praxis vorzuweisen ist, für die Personenbeförderung mit Omnibus aber die Befähigungsprüfung alleine ausreicht, erklärt den offensichtlichen Reformbedarf.
Als weitere Reformvorschläge zur Entbürokratisierung und Deregulierung des Berufsrechtes nennt der Kärntner Vorschlag etwa eine Evaluierung der reglementierten Gewerbe dahingehend, dass nur mehr sicherheits- und gesundheitsrelevante Berufe (z.B. Waffenhandel, pharmazeutischer Handel) einer Reglementierung unterliegen und die Ausübung verwandter Teilgewerbe großzügiger gehandhabt wird. Außerdem soll die Gewerbereglementierung an den EU-Standard herangeführt und beispielsweise das Gastgewerbe insoweit freigegeben werden, als dass der Nachweis von Hygiene- und Jugendschutzschulungen ausreicht.
Das Kärntner Positionspapier enthält Vorschläge, die das alte System des Betriebsanlagenrechtes weiterentwickeln, aber auch einen völlig neuen Ansatz für das Betriebsanlagenrecht.
Die Vorschläge, die das alte System betreffen, sehen eine Neuordnung der Genehmigungsfreistellung vor. Gefordert wird eine umfassendere Genehmigungsfreistellung unter Beibehaltung der Genehmigungspflicht für bestimmte Anlagenkategorien (darunter selbstverständlich IPPC-Anlagen und Seveso-Anlagen).Trotz Genehmigungsfreistellung muss jedoch ein Mindestmaß an Transparenz über Anlagenerrichtungen und -änderungen an einem Standort bestehen, damit die Behörde über die Entwicklungen im Zusammenhang mit einer Betriebsanlage informiert ist. Dem wird dadurch Rechnung getragen, dass der Behörde die Errichtung genehmigungsfreier Betriebsanlagen zu Informationszwecken mitgeteilt werden muss, jedoch kein Anzeigeverfahren und somit keine bescheidmäßige Erledigung erforderlich sind.
Eine Abgrenzung der Genehmigungspflicht von Betriebsanlagen könnte zukünftig anhand der folgenden Kategorien erfolgen:
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genehmigungsfreie Betriebsanlagen (z. B. Erweiterungen von Betriebsanlagen bis 400 m2, genehmigungsfreie Anlagen bei Gewerben wie Uhrmacher, Schlüsseldienst)
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Betriebsanlagen, die unter die Genehmigungsfreistellungsverordnung fallen (z. B. eine Lagerhalle), deren Konformität mit der Rechtsordnung von einem Verifikateur –siehe nächster Absatz – bestätigt wird
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genehmigungspflichtige Betriebsanlagen
In Anlehnung an das deutsche Gewerberecht wird anregt, behördliche Genehmigungs- und Kontrollpflichten an einen qualifizierten Sachverständigen, den sog. „Verifikateur“ (z. B. Ziviltechniker, gerichtlich beeideter Sachverständiger), zu übertragen. Dieser Verifikateur muss die Konformität eines Vorhabens mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften prüfen und im Rahmen seiner beruflichen Sorgfalt bestätigen sowie der Behörde beglaubigte Informationen über Vorhaben im Zusammenhang mit der Betriebsanlage übermitteln. Der Verifikateur wird zum Garanten für die Gemeinwohlverträglichkeit eines Vorhabens, ohne selbst eine staatliche Aufgabe wahrzunehmen. Er haftet im Falle einer ev. Fehlbegutachtung. Eine ähnliche Vorgehensweise wird bereits im österreichischen Seilbahnwesen mit Erfolg praktiziert.
Eine Neugestaltung der Genehmigungsfreistellungsverordnung hätte zur Folge, dass der Anwendungsbereich des vereinfachten Verfahrens überdacht werden muss, sodass es unter Umständen sogar entfallen könnte.
Bei Änderungen von genehmigten Betriebsanlagen reduziert das Ersetzen von Antragsverfahren durch Melde- und Anzeigeverfahren den Verwaltungsaufwand nicht, weil der Umfang der Verwaltungstätigkeit im Wesentlichen gleich wie beim Antragsverfahren ist. Melde- und Anzeigepflichten sollten reduziert werden.
Ein weiterer Vorschlag betrifft die Übertragung der baupolizeilichen Kompetenzen für genehmigungspflichtige gewerbliche Betriebsanlagen von den Gemeinden an die Gewerbebehörde.
Die Abwicklung des Bauverfahrens durch die Gewerbebehörde hätte eine Verfahrenskonzentration - wie in § 38 AWG vorgesehen - zur Folge. Die Gemeinde sollte in diesem konzentrierten Verfahren jedenfalls Parteistellung erhalten. Eine separate Baubewilligung würde entfallen und materielles Baurecht würde im Gewerbeverfahren mitangewendet und im Gewerbebescheid mitberücksichtigt. Die Bauverfahren den Gewerbebehörden mittels Verordnung zu übertragen, beseitigt den Verwaltungsaufwand nicht, sondern verschiebt ihn nur auf die Ebene der Bezirksverwaltungsbehörden, bei denen dann zwei Verfahren abzuwickeln wären.
Zur Diskussion gestellt wird auch eine Reform des UVP-Rechtes zur Erhöhung der Rechtssicherheit für die Beteiligten und Beschleunigung des Verfahrens. Derzeit können UVP-Verfahren aufgrund der umfassenden Einspruchsrechte oft schier endlos in die Länge gezogen werden, da die Verfahren durch weitergehende, mitunter willkürliche Anträge Dritter gezielt verzögert werden. Ebenso ist eine Reduktion des Gutachtensaufwandes anzustreben, um das UVP-Verfahren auch für kleinere Unternehmen leistbar zu machen.
Das Feststellungsverfahren wurde durch die Judikatur in Österreich seines Sinnes einer wie im UVP-Gesetz vorgesehenen „Grobprüfung“ entleert und kommt mittlerweile beinahe einem UVP-Genehmigungsverfahren gleich. Diesbezüglich wäre der Bundesgesetzgeber gefordert, den von ihm beabsichtigten Sinn, nämlich die Feststellung der UVP-Pflicht für ein Vorhaben, wieder herzustellen.
Ein Vorschlag, der in erster Linie auf die Hebung der Qualität der Einreichunterlagen für Projekte abzielt, ist die taxative Aufzählung der im Betriebsanlagenverfahren (Genehmigung oder Änderung) im Zuge der Einreichung beizubringenden Unterlagen (analog §103 WRG). Beabsichtigter „Nebeneffekt“ dieser Festlegung wäre die Beseitigung einer gängigen Verfahrensverzögerung, die vom Projektwerber bzw. Projektanten verursacht wird. Damit soll erreicht werden, dass Projekteinreichungen mit allen erforderlichen Beilagen erfolgen und so die Grundlage für eine zügige Bearbeitung des Vorhabens durch die Behörde und die Amtssachverständigen geschaffen wird.
Zukunftsweisend ist der Vorschlag einer digitalen Einreichung eines Betriebsanlagenge-nehmigungsantrages, die mittelfristig bei Standardbetriebsanlagenverfahren möglich sein könnte. Die gesetzlichen Grundlagen für eine digitale Einreichung oder kombinierte digitale/analoge Einreichung (Hybrideinreichung) sind in der Gewerbeordnung vorzusehen.
Im Betriebsanlagenrecht wartet die Expertengruppe auch mit einem völlig neuen Vorschlag auf, der einen Systemwechsel zur Folge hätte. Dieser sieht eine weitgehende Genehmigungsfreiheit von Betriebsanlagen innerhalb eines behördlich vorgegebenen Rahmens für Emissionen wie z. B. Lärm, Luft, Erschütterung, Geruch vor und hätte maßgebliche Auswirkungen auf die Verfahrenseffizienz – und zwar ohne Qualitätsverlust. Mit Einbindung der Nachbarn resultiert daraus eine gewerberechtliche Generalgenehmigung für einen Standort mit entsprechender raumordnungsrechtlicher Widmung, die jedoch nicht auf ein konkretes Projekt bezogen ist. Im Rahmen dieser Generalgenehmigung wird bei Errichtung der einzelnen Betriebsanlage die Einhaltung des festgelegten gesamtheitlichen Emissionsrahmens durch einen (qualifizierten) Verifikateur gegenüber der Behörde bestätigt.
Die neue Systematik eines Betriebsanlagenverfahrens orientiert sich am Kumulationsprinzip des UVP-Verfahrens. Zur Klarstellung der Anwendungsfälle für die neue Systematik müssen als erstes Kriterien entwickelt werden, die abgrenzen, bei welchen Anlagen das neue Betriebsanlagenrecht Anwendung findet. Bei Betriebsanlagen, für die europarechtliche Genehmigungspflichten bestehen (z. B. IPPC-Anlagen, Seveso-Anlagen), muss die Anwendung des „neuen“ Betriebsanlagenrechts ausgeschlossen sein.
Die Einhaltung des Rahmens muss vom Anlagenbetreiber durch die entsprechenden Nachweise belegt werden können. Zur Attestierung dieser Nachweise könnte ein Verifikateur (siehe Genehmigungsfreistellung) herangezogen werden. Aufgrund der höheren Eigenverantwortung des Anlagenbetreibers sind wirksame Sanktionsmechanismen erforderlich, die der Behörde die Verfügung von angemessenen Maßnahmen bei Nichteinhaltung des gesetzten Rahmens ermöglichen.
Anzeige- und Meldepflichten an die Behörden entfallen weitgehend, es erfolgt keine Vorlage von Nachweisen an die Behörden. Die entsprechenden Nachweise, welche die Einhaltung des Emissionsrahmens belegen, werden im Betrieb vorgehalten und von der Behörde vor Ort im Rahmen der Kontrollen eingesehen und überprüft.
Wesentlich für die Realisierung der Vorteile dieses Systemwechsels – nämlich weniger und kürzere Behördenverfahren insbesondere wegen des Entfalls von Verfahren bei Anlagenänderungen, effizientere und effektivere Kontrollen und wirksame Sanktionsmechanismen - ist, dass die Projektwerber den behördlich unter Wahrung der Nachbarrechte vorgegebenen Rahmen zusammen mit den Projektanten im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben sowie nach dem Stand der Technik umsetzen.
Informationen zu Peter Kaiser
Dr. Peter Kaiser ist seit 2013 Landeshauptmann von Kärnten
peter.kaiser@kaernten.gv.at
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