Zweite Kammern im Bundesstaat

von David Hirner, 16.07.2025

Zweite Kammern im Bundesstaat – Der kanadische Senat und der österreichische Bundesrat im verfassungsrechtlichen Vergleich

 

Kanadas Oberhaus: Zwischen Westminster und Föderalismus

In föderalen Staaten gelten zweite Parlamentskammern als zentrales Bindeglied zwischen dem Gesamtstaat und seinen Gliedstaaten. Durch sie sollen föderale Interessen gebündelt, regionale Perspektiven eingebracht und eine Gewaltenteilung innerhalb der Legislative ermöglicht werden. Trotz dieser Zielsetzung werden viele zweite Parlamentskammern in demokratischen Verfassungsstaaten mit Reformvorschlägen konfrontiert und ihre Daseinsberechtigung in Frage gestellt.

Ein universell übertragbares Idealmodell für zweite Kammern in föderalen Systemen existiert nicht, weshalb sich diese in besonderem Maße für einen verfassungsrechtlichen Institutionsvergleich anbieten.

Der Großteil aller föderal organisierten Staaten, darunter auch Österreich und Kanada, hat sich für ein bikamerales Parlamentssystem entschieden. Kanada ist zudem als der erste Staat weltweit anzusehen, der in seiner Verfassung Bundesstaatlichkeit mit dem britischen Westminster-Parlamentssystem kombiniert.

Als zweite Kammer des kanadischen Parlaments fungiert der Senat Kanadas, welchem bislang in der deutschsprachigen Bikameralismusforschung wenig Beachtung geschenkt wurde. Der Senat ist, insbesondere aufgrund von Gemeinsamkeiten mit sowohl dem britischen „House of Lords“ als auch dem US-Senat, als Unikum unter den zweiten Kammern der westlichen Verfassungsstaaten anzusehen.

Aus diesem Grund ist das kanadische Oberhaus als besonders reizvoller Untersuchungsgegenstand einzustufen, weshalb es hinsichtlich seiner Zusammensetzung, Organisation, Funktionen sowie der rechtlichen Stellung seiner Mitglieder mit dem österreichischen Bundesrat vom Autor dieses Blogbeitrages verfassungsrechtlich verglichen wurde.

 

Zwei Kammern, zwei Wege: Zusammensetzung und Kompetenzen im Vergleich

In beiden Staaten war es bei der Bundesstaatsgründung (in Kanada bereits im Jahr 1867) ein schwieriges Unterfangen sich betreffend die Frage der Ausgestaltung der zweiten Kammern zu einigen. Im Rahmen der Verhandlungen über die Bundesstaatsgründung wurde daher sowohl in Österreich als auch in Kanada ein Kompromissweg bestritten.

Der kanadische Senat und der österreichische Bundesrat wurden geschaffen, um eine Mitwirkung der Provinzen und Territorien bzw. Bundesländer auf gesamtstaatlicher Ebene sicherzustellen. Die Zusammensetzung der beiden zweiten Kammern erfolgt in anderen Verfahren als in der ersten Kammer, da ihnen eine andere institutionelle Idee zugrunde liegt. Gemein ist beiden zweiten Kammern, dass sich die jeweiligen Verfassungsväter weder strikt am arithmetischen noch am geometrischen Prinzip orientieren wollten.

Der Bundesrat wird von den Landtagen beschickt und spiegelt die Mehrheitsverhältnisse in den Bundesländern wider. Seine rechtlichen Einflussmöglichkeiten sind jedoch stark begrenzt. Grundsätzlich besitzt der Bundesrat lediglich ein aufschiebendes Vetorecht, das vom Nationalrat leicht überstimmt werden kann. Nur in wenigen Ausnahmefällen – etwa bei Verfassungsänderungen, durch die die Zuständigkeit der Länder in Gesetzgebung oder Vollziehung eingeschränkt wird – ist seine Zustimmung zwingend erforderlich.

Demgegenüber ist der kanadische Senat mit dem kanadischen Unterhaus, dem „House of Commons“, grundsätzlich gleichgestellt und formalrechtlich deutlich mächtiger als der Bundesrat. Ausgenommen vom absoluten Vetorecht des Senats sind jedoch Änderungen der Verfassung Kanadas, da den Provinzen Kanadas im Verfassungsänderungsverfahren ein direktes Mitwirkungsrecht und dem Senat bloß ein suspensives Einspruchsrecht zukommt.

Die Senatorinnen und Senatoren werden nicht vom Volk gewählt und auch nicht von den Gesetzgebungsorganen der Provinzen Kanadas entsandt, sondern auf Vorschlag des Premierministers vom Vertreter des britischen Monarchen, dem Generalgouverneur ernannt. Es mangelt dem kanadischen Oberhaus somit an demokratischer Legitimität, was dazu führt, dass es von seinem absoluten Vetorecht in der Gesetzgebung kaum Gebrauch macht.

Die Mitglieder des Senats und des Bundesrates sollen regionale Interessen auf Bundesebene vertreten. Obwohl sie über ein freies Mandat verfügen, eilt dem Senat und dem Bundesrat der Ruf voraus, dass in beiden Kammern die Partei- bzw. Fraktionsdisziplin eine tragende Rolle spielt und daher die Vertretung von Gliedstaateninteressen in den Hintergrund rückt.

 

Reformbedarf und Realität

Beide Kammern sind das Ergebnis historischer Kompromisse zwischen föderalistischen und zentralistischen Kräften. Der jeweils erzielte Kompromiss wird in beiden Staaten oftmals als einer der Gründe für die Reformbedürftigkeit und Ineffektivität beider zweiter Parlamentskammern angeführt.

Obwohl der Reformbedarf in Kanada unbestritten ist, scheitern tiefgreifende Reformvorhaben regelmäßig an verfassungsrechtlichen Hürden sowie fehlendem politischen Konsens. In Österreich wurden bis dato nur punktuelle Anpassungen vorgenommen, eine strukturelle Neuausrichtung des Bundesrates erfolgte nicht.

Bei einem Vergleich der bisher erfolgreich umgesetzten Reformen waren jene betreffend den Bundesrat gewichtiger. Während der Senat durch die Einführung eines suspensiven Vetos bei Verfassungsänderungen im Jahr 1982 geschwächt wurde, kam es insbesondere durch die Einräumung des Zustimmungsrechts des Bundesrates gemäß Art. 44 Abs. 2 Bundes Verfassungsgesetz zu einer Stärkung der verfassungsrechtlichen Stellung der Länderkammer.

In den vergangenen Jahren hat der kanadische Senat durch die Einführung eines unabhängigen Beratungsgremiums bei der Ernennung von Senatoren unter Premierminister Justin Trudeau sowie durch die Möglichkeit, unabhängige parlamentarische Gruppen zu bilden, eine institutionelle Erneuerung erfahren und sich zu einer aktiveren und unabhängiger agierenden zweiten Kammer entwickelt. Damit wurde in Kanada ein erster Schritt in Richtung Senatsreform eingeleitet, der ohne Verfassungsänderung realisiert werden konnte und auf breite Akzeptanz in der Bevölkerung stößt. Im Vergleich dazu ist die Reformdebatte in Österreich zuletzt weitgehend zum Erliegen gekommen.

Angesichts der politischen und verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen bleibt die Reform der zweiten Kammer in Kanada und Österreich eine langfristige Herausforderung, die auf einen breit getragenen Konsens angewiesen ist.

 

Fazit und Ausblick

Trotz ihrer Unterschiede teilen der kanadische Senat und der österreichische Bundesrat ein gemeinsames Schicksal: Sie stehen im Spannungsfeld zwischen föderaler Repräsentation, demokratischer Legitimation und politischer Funktionalität. Ungeachtet ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen, kommt beiden zweiten Kammern in der Verfassungswirklichkeit eine weitaus weniger gewichtige Rolle als den ersten Kammern zu.

Die Bedeutung fundierter verfassungsvergleichender Forschung wird vor allem in Debatten über Staatsorganisation und demokratische Teilhabe sichtbar. Gerade in Zeiten zunehmender Zentralisierungstendenzen ist es entscheidend, die Rolle der Gliedstaaten und ihrer Repräsentationsorgane auf Bundesebene zu reflektieren und weiterzuentwickeln.

Der Vergleich zwischen dem kanadischen Senat und dem österreichischen Bundesrat macht deutlich: Föderalismus ist kein statisches Modell, sondern ein dynamisches Konzept, das beständig hinterfragt, angepasst und neu gedacht werden muss. Nicht immer ist eine Verfassungsänderung von Nöten, um einen Reformprozess einzuleiten, sondern es können auch Gestaltungsmöglichkeiten im Verfassungsrahmen vorhanden sein.

Informationen zu David Hirner



David HirnerDavid Hirner promovierte im öffentlichen Recht an der Universität Graz und ist Träger des Preises für Föderalismus- und Regionalforschung 2025.

david.hirner@gmail.com

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